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Events by pom+, Vergangene Events
«Unsere Sehnsucht nach Einfachheit» lautete der Untertitel der 22. Ausgabe des pom+Highlights. Doch einfach waren die Beiträge der Referenten wahrlich nicht, stattdessen aber anregend, tiefschürfend und unterhaltsam – sie regten zum Denken an und weckten auf.
Die Welt sei dank des Internets zum Dorf geworden, meinte Moderatorin Nicole Simmen in ihrer Begrüssung. Die Auswahl sei riesig und ende oftmals im Elend. Denken wir beispielsweise an die meterlangen Regale beim Grossverteiler mit Joghurt in allen nur erdenklichen Zusammensetzungen. Gibt es dafür wirklich eine Nachfrage? Müssen wir jede einzelne Vorliebe mit einem Produkt bedienen? Solche Situationen lösen ein Gefühl der Überforderung aus. Nüchtern stellt Simmen fest: «In solchen Momenten sehnen wir uns wohl alle nach mehr Einfachheit.»
Gastgeber Peter Staub, CEO der pom+Consulting AG, versuchte, dem Begriff «Einfachheit» Bedeutung zu geben und verwies augenzwinkernd auf eine Überraschung in der Pause. Doch mehr dazu später. Trotz der positiven Konnotation, die Simplizität heute hervorruft, warnte Staub aber auch vor den Tücken. «So einfach wie möglich, aber nicht einfacher», mahnte er und verwies darauf, dass komplexe Systeme nicht einfach gemacht werden können. Als Beispiel erwähnte er die Website von amazon.com, die sich dem User einfach präsentiert. Dahinter würden sich aber extrem komplexe Applikationen verstecken.
Komplex war dann auch der nächste Beitrag. Tobias Nolte, Mitbegründer von Certain Measures (CM), sprach vom Sprengstoff, der aus dem Rechner kommt. Überhaupt hatte sein Auftritt («Darf’s ein bisschen mehr sein? – Maschinelles Sehen und Gestalten») etwas Verspieltes. So verwundert es nicht, dass Nolte auf Technologien der Gaming Industrie zurückgreift. Für seine Arbeit hatte der deutsche Architekt beispielsweise ein Wochenendhaus aus einem Nudistencamp in alle Einzelteile zerlegt. Jedes Element wurde fotografiert, gescannt und katalogisiert. Welche Hausformen sind möglich mit den immer gleichen Fenstern, Brettern, Schrauben? Um diese Frage zu beantwortet, verwendet Nolte sein Programm, das in Windeseile neue Varianten aufzeigt.
Aufhorchen liess dabei die Aussage, dass 54 % des gesamten Mülls in Deutschland vom Bau stammten. Zusammen mit dem Fassadenbauer Rieder hat das Team von Nolte praktisch untersucht, wie der Verschnitt beim Herstellen von Elementen weiterverarbeitet werden kann und so nicht auf dem Abfallberg landet. Elegant spannte der Redner den Bogen zum nächsten Referenten mit dem Hinweis auf das Projekt von Tiny House und damit auf die von Staub angesprochene Überraschung: «Wir müssen aufhören, Raum als die Summe von Flächen zu betrachten, sondern als Summe von Erlebnissen», so Nolte. Für ihn wird die Reduktion des Raumes mit on demand-Services ermöglicht: Statt selber zu kochen, lasse ich mir das Essen liefern. Und wenn ich meine Wäsche in den Waschsalon bringe, braucht es keinen Platz mehr für die Waschmaschine. Davon überzeugen konnten sich die rund 300 Gäste in der Pause gleich selber dank der «Tiny Adelie», welche hinter dem Technopark für Neugierige bereitstand.
Läutet das Tiny House einen neuen Lifestyle ein bei unserer Wohnsituation? Dieser Frage ging Hans-Jörg Fankhauser nach, CEO von Fankhauser Arealentwicklungen AG und Fankhauser Architektur AG. «Entscheidend dafür ist der Standort», erklärt Fankhauser, der im Übrigen auch einen Selbstversuch wagte und das Leben im Tiny House für einige Tage ausprobiert hat. Beim Tiny House geht es um minimale Fläche, die dank der Mobilität überall aufgestellt werden kann. «Und schöne Flächen gibt es wahrlich genug», sagt er. Aber die Vorschriften würden vielfach die Montage eines Tiny House verhindern.
Der Basler Architekt ging vertieft auf das Koda House aus Estland ein (www.kodasema.com). Dieses Tiny House bietet alles, was es zum Wohnen an Land oder auf dem Wasser braucht. Die internationale Preisliste zeigt Ausführungen zwischen 50'000 und 115'000 Euro, inkl. Lieferung innerhalb der EU. Mit der eigenen Denkfabrik will Fankhauser u.a. der Frage nachgehen, wo wir 2025 arbeiten, einkaufen und wohnen werden. Für ihn ist klar: Das Tiny House nehme ich dorthin mit, wo ich arbeite. Ob das die doch eher sesshaften Schweizer auch so sehen?
Einfach bedeutet nicht leichter, meinte Dr. Joachim Baldegger, Head of Service Unit Future Lab der pom+Consulting AG, in seinem Beitrag zu den Neuerungen auf dem FM-Markt. Die FM Monitor Trendanalyse 2019 zeigt, dass die künftigen Wachstumsleader das Gesundheits- und Sozialwesen sind. Die Trends im Facility Management Markt verändern sich seit Jahren nicht. Daten und Energieverbrauch sind seit eh und je auf der Liste. Neu sind laut Baldegger flexible Baukonzepte hinzugekommen. Die Anzahl der Google Suchanfragen zeigt, wann das Interesse nach einem Thema am grössten war. So wurde der Begriff «PropTech» vor einem Jahr in der Schweiz am häufigsten gesucht. Im weltweiten Vergleich sind die Schweizer Suchanfragen allerdings schwächer oder gar rückläufig. Baldegger fragt in die Runde: «Heisst das, dass wir schon so weit voraus sind, dass das Thema bei uns passé ist oder sind wir gerade dabei, den Anschluss zu verlieren?»
Reduce to the max – dieses Motto hat Cédric Waldburger verinnerlicht und er lebt es (meistens) auch. Der Unternehmer und Investor treibt die Reduktion des persönlichen Besitzes auf die Spitze. Ein Raunen ging durch das Auditorium als Waldburger die Liste mit seinen 64 persönlichen Teilen einblendete. Bis auf den Schweizer Pass sind alle Besitztümer schwarz. Während der Schweizer tausende Teile besitzt (und die Schweizerin wohl noch einige mehr), begnügt sich der Weltenbummler mit einem minimalen Bestand an Gütern. Dies ist vor allem möglich, weil er keinen festen Wohnsitz hat und deshalb die Infrastruktur von Hotels oder von Freunden nutzt.
Waldburger ist sich bewusst, dass sein Fussabdruck mit 120 Flügen und 284'000 zurückgelegten Kilometern im Jahre 2017 nicht berauschend sei. Diese Reiserei sei aber mit seinen unternehmerischen Tätigkeiten begründet gewesen. Heute versuche er auch hier genügsamer zu leben. Aber seine Erfahrung zeige ihm, dass er mit den Menschen in den von ihm geförderten Unternehmen viel Zeit am Tisch und nicht vor dem Bildschirm verbringen will. Wer nur Strom, Laptop und WiFi benötigt, braucht kein eigenes Büro. Digitale Nomaden können überall auf der Welt ihren Geschäften nachgehen.
Waldburger sieht die Funktion des CEO’s ähnlich der eines Piloten: «Ich gebe die Flughöhe und die Richtung vor, muss also ermöglichen, dass alle effizient arbeiten können. Vor allem sollen Mitarbeitende selbstständig produktiv sein.» Waldburger hat sein persönliches, wie auch sein berufliches Jahr in Perioden von 90 Tagen unterteilt. Nach Ablauf eines solchen Zeitraumes schaut er kritisch zurück und korrigiert wo nötig. Er glaubt übrigens nicht daran, dass weniger besser sei. So weiss er heute noch nicht, ob er seinen Lebensstil weiterführen will. «Was brauche ich, was ist nur Ballast», solche Fragen beschäftigen ihn. Und mit einem Zitat von Socrates (470 vor Christus) beendete Waldburger seinen Auftritt: The secret of happiness, you see, is not found in seeking more, but in developing the capacity to enjoy less. Und diese Weisheit gilt auch 2019!
Krasser könnte der Unterschied zwischen Waldburger und dem letzten Referenten nicht sein. Während der junge Unternehmer seine Aussagen auf zahlreichen Folien visualisierte (reduziert und einfach dank der Verwendung von Emojis), verzichtete der Philosoph und Buchautor Ludwig Hasler auf visuelle Unterstützung. Er nutze die Macht des Wortes, um zu überzeugen. Mit einem gewissen Schalk stellte sich Hasler als leibhaftigen Anachronismus vor, wohnt er doch in einem Jugendstilhaus mit 12 Zimmern, gut gefüllt mit allen möglichen Besitztümern.
«Wo ist die Sehnsucht nach Einfachheit?», fragt Hasler. Für ihn ist diese Sehnsucht verschüttet. Die Welt sei voll, voller Optionen, dafür aber immer verstopfter. Wir bräuchten Instrumente für diese verdichtete Welt. Dabei definierte Hasler Reduktion als Konzentration und nicht als Verzicht: «Reduktion ist nicht Busse, sondern Luxus.» Er meinte, dass die elementaren Lebensbedingungen immer wichtiger werden: sauberes Wasser, Raum, Zeit. Hierzu würde auch die Stille sehr gut passen. Hasler will, dass wir unser Hirn zum Denken brauchen und uns mit unserer Zukunft auseinandersetzen. In der digitalen Welt müssen wir die analoge Souveränität zurückgewinnen, verlangte er. Programme sollten nicht mehr länger unsere Lebensformen diktieren. Der Mensch sei der Meister und nicht der Knecht der Maschine. Und schliesst mit Bedacht: «Für mich ist Glück das Gefühl, gebraucht zu werden. Einsamkeit macht unglücklich.»
Nach einem inspirierenden Nachmittag bot sich den Gästen die Gelegenheit, das Gehörte im Gespräch zu verarbeiten und ein grosszügig zusammengestelltes Buffet zu geniessen. Letzteres war nicht reduced to the max – und fand trotzdem grossen Anklang.
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