In der Schweiz verantwortet die Immobilien- und Bauwirtschaft mehr als 80 Prozent der gesamten Abfallproduktion. Nach wie vor landet ein erheblicher Teil der Baumaterialien nach ihrem Lebensende in der Deponie oder der Verbrennungsanlage, nur ein minimer Teil wird zur Wiederverwendung genutzt. Aufgrund der hohen Verschwendung und der damit verbundenen Belastung der Umwelt ist ein Wechsel zur Kreislaufwirtschaft unausweichlich.
Die Klimakrise beschäftigt unsere Gesellschaft und Wirtschaft und doch reagieren wir immer noch sehr träge auf diese Herausforderung. Dabei ist die Hebelwirkung der Bau- und Immobilienwirtschaft unbestritten: Als eine der Hauptemittentinnen von CO2-Emissionen und Verursacherin erheblicher Abfallberge kann sie mit nachhaltigen Prinzipien und Massnahmen wesentlich zu einer Reduktion der negativen Umweltauswirkungen beitragen. Immer mehr Portfoliobesitzerinnen und Bestandshalter haben das erkannt und bemühen sich darum, ihren Teil beizutragen.
Doch mit der Reduktion allein ist es nicht getan. Viel mehr bedingt der Weg in die Klimaneutralität eine neue Denk- und Arbeitsweise, die bestehende Prozesse hinterfragt und ändert. Damit baldmöglichst effektive Resultate erzielt werden, sind neue (Gedanken)Modelle, der Umbau bestehender Strukturen und insbesondere eine integrale Denkweise gefragt, welche die komplette Wertschöpfungskette einschliesst. Mit anderen Worten: Es ist Zeit für eine zirkuläre Sichtweise. Vor dem Hintergrund der vorherrschenden Ressourcenknappheit und Materialengpässen gewinnt die Kreislaufwirtschaft (engl. Circular Economy) noch zusätzlich an Gewicht.
Digitale Denkweise als Voraussetzung
Mit den Themen ESG (Environment, Social, Governance) und zunehmenden Regulierungen steigt der Druck auf Bauherr:innen, «ESG-konforme» Gebäude zu erstellen. Davon sind von Architekt:innen über Planer:innen bis hin zu Handwerker:innen alle betroffen, denn die Vorgaben hinsichtlich Ökobilanz, Schadstofffreiheit oder Klimaresilienz erfordern eine vertiefte Auseinandersetzung mit Materialien und den baulichen Aspekten zur Reduktion von Treibhausgasen.
Doch aktuell werden Materialien beim Verbau in der Schweiz noch kaum dokumentiert. Das liegt einerseits an der fragmentierten Natur der Bau- und Immobilienwirtschaft und andererseits an der mangelnden Digitalisierung des Bauprozesses als solcher wie auch des Projektmanagements (z.B. mittels BIM und Life Cycle Data Management).
Immer mehr Unternehmen erkennen die Chancen und Potenziale der Kreislaufwirtschaft, gerade dank der technischen Fortschritte. So ermöglichen digitale Technologien heute die effiziente Berechnung der Grauen Energie, CO2-Emissionen oder dem Energieverbrauch von Gebäuden. Die Plattform Madaster stellt nicht nur Informationen über die Herkunft und Qualität von Bauprodukten zur Verfügung, sondern bietet auch eine Grundlage für die Ermittlung von material- und gebäudespezifischen Kennzahlen. Die Plattform generiert Materialpässe, welche eine einfache Darstellung des Ressourcenbedarfs eines Gebäudes erlauben. Auch Bauteilplattformen gewinnen stets an Bedeutung und erweitern ihren Nutzungskreis.
Letztlich machen all diese Hilfsmittel Rohstoffwerte transparent und ermöglichen die effiziente Dokumentation, Nutzung und Wiederverwendung von Materialien. Ohne die Digitalisierung von Immobilien ist ein zirkuläres Modell in der Immobilienwirtschaft kaum denkbar.
Gebäude als Rohstofflager
Und langsam tut sich etwas. In den letzten Jahren haben innovative Marktakteure bei der Wiederverwendung von Bauteilen, beim Einsatz von bio-basierten Materialien oder mit Mietmodellen (Product-as-a-Service) inspirierende Projekte realisiert.
Bis Skaleneffekte erzielbar sind, dürfte es allerdings noch dauern. Die Definition und Standardisierung von zirkulären Prozessen, Normen und Tools steht noch aus. Doch spüren gerade Portfoliobesitzerinnen und Investoren die Vorteile der Kreislaufwirtschaft. Denn wenn die verwendeten Materialien, Bau- und Rohstoffe nach Ende des Lebenszyklus eines Gebäudes auf der nächsten Baustelle oder im nächsten Gebäude statt auf der Mülldeponie landen, werden Immobilien zum Rohstofflager und dadurch zur lukrativen Wertanlage.
Damit erhält der Begriff des Renditeobjektes einen völlig neuen Stellenwert. Es wird immer deutlicher, dass Investitionen in klimaneutrale Gebäude auch finanziell rentieren.
Über den Autor
Seit Juli 2022 treibt Jürg Schneider als Head of Service Unit Circularity bei der pom+Consulting AG die Entwicklung von zirkulären Strategien und Geschäftsmodellen in der Bau- und Immobilienbranche voran. Mit seinem Team unterstützt er bei Ausschreibungen von Arealentwicklungs- und Bauprojekten und bietet Umsetzungsberatung zu konkreten Massnahmen auf Objektebene an.
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