Die Erde weist seit Jahren eine negative Ressourcenbilanz auf, wie die Berechnungen des «Earth Overshoot Day» verdeutlichen. Die Bau- und Immobilienwirtschaft spielt eine entscheidende Rolle dabei, diesen Tag im Kalenderjahr weiter nach hinten zu verschieben. Dafür ist es essenziell, neben den Betriebsemissionen auch die graue Energie bei der Erstellung zu berücksichtigen.
Wir leben auf Ökopump. Das zeigen die Auswertungen zum Earth Overshoot Day (zu dt. «Erdüberlastungstag») des Global Footprint Networks. Der Tag markiert den Zeitpunkt im Jahr, ab dem die menschliche Nachfrage nach Ressourcen die regenerative Kapazität der Erde übersteigt. Die Berechnungen werden seit 1961 jährlich veröffentlicht und zeichnen ein düsteres Bild. Im letzten Jahr fiel das Datum, an dem die gesamte Menschheit die Grenze der planetaren Ressourcen verbraucht hat, auf den 2. August.
Die DACH-Region macht dabei eine denkbar schlechte Figur. Würden alle so leben wie die Schweiz, wäre das planetare Budget bei der letzten Berechnung bereits nach 132 Tagen, also am 13. Mai 2023, erschöpft gewesen. Deutschland und Österreich schneiden mit nur 123 Tagen beziehungsweise 95 Tagen innerhalb des natürlich verfügbaren Ressourcenbudgets sogar noch miserabler ab.
Der Immobiliensektor als Schlüsselakteur
Jetzt zur guten Nachricht: Die Bau- und Immobilienwirtschaft kann mit ihrem Ressourcenverbrauch, ihrer Energienutzung und ihren Arealentwicklungsprojekten erheblich dazu beitragen, den globalen ökologischen Fussabdruck zu verkleinern und damit den Earth Overshoot Day zu verzögern.
Aber erstmal der Reihe nach. Unter dem Motto Macht der Möglichkeiten und begleitet vom Hashtag #Move - TheDate, hat das Global Footprint Network fünf Schlüsselbereiche identifiziert, die besonders erfolgversprechend sind in den Bemühungen um mehr Ressourcensicherheit: Planet, Städte, Energie, Nahrungsmittel und Bevölkerung. Als Querschnittsbranche knüpft die Bau- und Immobilienwirtschaft an mehrere dieser Bereiche an, insbesondere mit der Entwicklung von Smart Cities und den Anstrengungen zur Dekarbonisierung des Gebäudeparks.
Dabei ist der Earth Overshoot Day nur eine von verschiedenen Initiativen, die den Wandel hin zur Kreislaufwirtschaft fordern. Mit dem Green Deal der Europäischen Union und dem politischen Bekenntnis zur Klimaneutralität werden mittlerweile auch konkrete Gesetze und Vorgaben entworfen oder zumindest diskutiert, die ein Umdenken in der Bau- und Immobilienwirtschaft verlangen.
Graue Energie als relevanter Aspekt
Das kommt nicht von ungefähr. Schliesslich gilt der Immobiliensektor hierzulande als einer der Hauptemittenten von CO2-Emissionen und Verursacher immenser Abfallberge. Daraus ergibt sich eine beachtliche Hebelwirkung, um mit der Einführung von nachhaltigen Prinzipien und Massnahmen zu einer Reduktion der negativen Umweltauswirkungen beizutragen.
Doch mit der Reduktion allein ist es nicht getan. Der Weg in die Klimaneutralität bedingt auch eine neue Denk- und Arbeitsweise, welche die bestehenden Bauprozesse von Grund auf hinterfragt und verändert. Vor dem Hintergrund der vorherrschenden Ressourcenknappheit und Materialengpässe auf europäischen Baustellen gewinnt die Kreislaufwirtschaft noch zusätzlich an Gewicht.
Noch fokussieren die nachhaltigen Bemühungen in der Immobilienwirtschaft häufig auf die Betriebsemissionen. Um jedoch die Ziele der Klimaneutralität bis 2050 zu erreichen – und die Verschiebung des Earth Overshoot Days damit wirksam zu unterstützen – müssen wir uns rasch den Erstellungsemissionen zuwenden. Diese sogenannte graue Energie bezeichnet die gesamte Energie, die notwendig ist, um ein Gebäude zu errichten. Das inkludiert die Gewinnung von Rohstoffen, die Herstellung und Verarbeitung von Bauteilen, den Transport von Materialien und Bauteilen zur Baustelle, deren Einbau im Gebäude und letztlich den Rückbau und die Entsorgung der Baumaterialien.
Eine Reduktion der grauen Energie durch nachhaltigere Baupraktiken, klimafreundliche Materialauswahl und dem effizienten, langfristigen Umgang mit Rohstoffen trägt direkt zur Verringerung des ökologischen Fussabdrucks und damit zu Verbesserung der gesamten Ressourcenbilanz bei.
Grenzwerte für graue Emissinen in der EU
Einige Länder haben bereits Gesetze und Vorschriften eingeführt, die darauf abzielen, die graue Energie im Immobiliensektor zu begrenzen und nachhaltige Baupraktiken zu fördern. Dänemark beispielsweise, das derzeit mit nur 86 Tagen innerhalb der planetaren Grenzen auf dem unrühmlichen achten Platz der Overshoot-Länder liegt, verfolgt mit der Strategy for Sustainable Construction aktiv die Dekarbonisierung seines Gebäudebestands.
Seit Anfang 2023 gilt ein gesetzlicher Grenzwert von 12 kgCO2eq/m2/a für Gebäude grösser als 1000 Quadratmeter, der durch eine Ökobilanz über den gesamten Lebenszyklus nachgewiesen werden muss. Dänemark ist der erste EU-Mitgliedsstaat mit solchen Vorgaben und plant, sie in zwei Jahren weiter zu verschärfen und auf alle Gebäude auszudehnen, einschliesslich solcher kleiner als 1000 Quadratmeter. Der Absenkpfad für Erstellungsemissionen wird alle zwei Jahre durch reduzierte Grenzwerte festgelegt, wobei die Werte für die kommenden Jahre noch nicht definiert sind.
Verschiedene EU-Mitgliedstaaten wie Finnland (89 Tage), Schweden (92 Tage), die Niederlande (101 Tage) oder Frankreich (130 Tage) haben ebenfalls Ökobilanz - Vorschriften eingeführt und bereiten die zeitnahe Einführung von Grenzwerten für die Erstellung vor. Es ist also davon auszugehen, dass in absehbarer Zeit ein Grossteil der Nationen in West-Europa dem Vorbild von Dänemark folgen werden. Damit werden Grenzwerte für graue Treibhausgasemission für die Planung und Realisierung von Immobilien in unseren Breitengraden faktisch zum Standard.
In der Schweiz gibt es derzeit (noch) keine gesetzlichen Vorgaben zur grauen Energie. Die SIA-Merkblätter 2032 Graue Energie - Ökobilanzierung für die Erstellung von Gebäuden und 2040 Effizienzpfad Energie bilden die wesentlichen Grundlagen für die Planung und Erstellung.
Immobilien als Rohstofflager
Ein Grund für die bislang stiefmütterliche Behandlung von Erstellungsemissionen ist mitunter die unvollständige Datenlage und die komplexe Quantifizierbarkeit. Denn die vielen verschiedenen Akteure, Regionen, Transportwege und Lieferketten im Erstellungsprozess führen oft zu unvollständigen Datensätzen und erschweren das effiziente Monitoring der grauen Energie. In einem ersten Schritt braucht es also klare Berechnungsmodelle und vor allem reale, aktuelle Daten. Um Skaleneffekte zu erzielen, müssen diese Daten präzise erfasst, Materialien beim Verbau sorgfältig dokumentiert und die Entwicklung sowie Standardisierung von zirkulären Prozessen, Normen und Tools aktiv vorangetrieben werden. Nur wenn die einst verbauten Rohstoffe nach Abschluss des Gebäudelebenszyklus auf der nächsten Baustelle oder in der nächsten Immobilie wiederverwendet werden, anstatt auf einer Deponie zu landen, werden Immobilien zu effizienten Rohstofflagern (und darüber hinaus zur lukrativen Wertanlage).