Data & Digital

«Der Spielraum für Ineffizienz ist klein!»

04.07.2023
Im Interview mit Simon Caspar

Simon Caspar, Digitalisierungsexperte und Betriebsökonom in Facility-Management, spricht über die Auswirkungen von Low-Code-Apps im FM und erklärt, wie sich damit Zeit und Kosten sparen lassen. 

Work smarter, not harder. So lautet die diesjährige Veranstaltungsreihe, die Simon Caspar, Partner bei pom+Consulting, mit seinem Team lanciert hat. pom+ ist ein auf Immobilien spezialisiertes Beratungsunternehmen, das Firmen dabei unterstützt, den Austausch zwischen Organisation, Immobilien und IT-Systemen zu vereinfachen – inhaltlich, prozessual und datenspezifisch. Das erste Webinar stand im Zeichen der Prozessdigitalisierung und fokussierte auf das smarte FM. Wir haben Simon Caspar im Anschluss nach seinen Einschätzungen zur vernetzten Welt gefragt. Mit uns spricht er darüber, wie Low-Code-Apps in Zeiten des Fachkräftemangels und im Zuge des steigenden Kostendrucks bei der professionellen Planung und Steuerung des Facility-Managements unterstützen können und welche Vorteile sie mit sich bringen.

SEIT 17 JAHREN BERATEN SIE UNTERNEHMEN AUS DER IMMOBILIENWIRTSCHAFT ZU PROZESSEFFIZIENZ, SEIT 2012 ALS HEAD OF BUSINESS UNIT DIGITAL SOLUTIONS. WIE
HABEN SICH DIE FRAGESTELLUNGEN SEITHER VERÄNDERT?

Prozesseffzienz sorgt für eine höhere Produktivität und hat damit einen direkten Einfluss auf die Wirtschaftlichkeit einer Organisation. Daran hat sich nichts geändert; das Interesse an der Thematik ist und bleibt entsprechend hoch. Stark verändert haben sich allerdings die Ansprüche an ein modernes Unternehmen und dementsprechend an die Prozesslandschaft. Die digitale Transformation ist wohl der wichtigste Treiber. Sie ermöglicht die Automatisierung und Optimierung von Prozessen aller Art, rückt die Kundenbedürfnisse stärker ins Zentrum und sorgt für einen nahtlosen Datenfluss. Aber auch andere Entwicklungen sind entscheidend. So verlangen zum Beispiel agile Arbeitsmethoden eine höhere Prozessflexibilität und schnellere Entscheidungsfindungen. Zudem bewegen wir uns heute vermehrt in einem kollaborativen Umfeld und kooperieren häufig über Unternehmens- oder sogar Branchengrenzen hinweg. In dieser vernetzten Welt müssen Prozesse übergreifend und «End-to-End» gedacht werden. Wenn ich mich heute mit Prozesseffizienz beschäftige, tue ich das meistens im Kontext der Digitalisierung. Hier stehen Fragestellungen zur Integration, Durchgängigkeit und zur Reduktion von Komplexitäten im Vordergrund.

ALS BETRIEBSÖKONOM IN FACILITY-MANAGEMENT LIEGT IHR FOKUS DABEI VOR ALLEM AUF DEM GEBÄUDEBETRIEB UND DER BEWIRTSCHAFTUNG. WIE WIRKT DIE DIGITALE TRANSFORMATION AUF DIE PROZESSE IM IMMOBILIENMANAGEMENT EIN?
Die FM-Branche ist heute sehr diversifiziert und kompetitiv, die Anforderungen an das Immobilienmanagement werden laufend anspruchsvoller. FM-Unternehmen müssen sich auf neue Infrastrukturen einstellen, denn mit der digitalen Aufrüstung der Liegenschaften und insbesondere der Entwicklung von Smart Buildings werden Immobilienportfolios komplexer. Hinzu kommen ein umfangreiches Leistungsangebot, Unsicherheiten hinsichtlich Laufzeiten der Mandatsverhältnisse und die Verschiebung von Pauschalleistungen zu On-Demand-Ansprüchen. Digitale Kompetenzen werden immer wichtiger, um die Skalierbarkeit der Dienstleistungen zu gewährleisten.

DAS AUCH VOR DEM HINTERGRUND DER EINGANGS ANGESPROCHENEN VERNETZTEN WELT.
Richtig. Wir bewegen uns auf eine Zukunft zu, die massgeblich auf Konnektivität und Kooperation aufbaut.Das bleibt gerade für die stark fragmentierten Prozesse im Immobilienbetrieb nicht ohne Folgen: Die unternehmensübergreifende Zusammenarbeit bedingt dadurch, dass Teile der Wertschöpfungskette ausgelagert werden und eine Vielfalt an digitalen Systemen und Datenquellen im Gebäudebetrieb übergreifend betreut werden müssen.
 

Simon Caspar

Partner pom+Consulting AG

"Ineffiziente Prozesse kosten Geld - und davon hat man im FM eigentlich immer zu wenig"

WELCHE KONSEQUENZEN ENTSTEHEN DARAUS FÜR DAS FM?
Wo früher Kenntnisse in einem CAFM-System ausreichten, müssen mittlerweile auch das Internet of Things (IoT), Edge Computing, Cloud und Mobile in Zusammenhang gesetzt werden können. Die dabei entstehenden Daten bieten Potenzial für Insights, um beispielsweise Muster und Trends im Nutzerverhalten zu identifizieren. Aber noch viel grösseres Potenzial liegt in der Automatisierung, zum Beispiel indem der Gebäudebetrieb gestützt auf Daten dynamischer gesteuert wird, Abweichungen rascher erkannt werden und dadurch Verbräuche, CO2 und Betriebskosten teils erheblich reduziert werden. Im Kern geht es eigentlich immer darum, dass zahlreiche lose Enden, also Medien- oder Systembrüche, miteinander verknüpft werden müssen, um einen effizienten Gebäudebetrieb zu gewährleisten. Diese Entwicklungen haben sich in den letzten Jahren zugespitzt.

INWIEFERN SPIELT DER KOSTENDRUCK HIER EINE ROLLE?
Eine erhebliche. Der Kostendruck führt dazu, dass FM-Dienstleisterinnen und Gebäudebetreiber unter ständigem Zwang stehen, ihre Prozesse so effizient und effektiv wie möglich zu strukturieren und managen. In einem Umfeld, das praktisch ausschliesslich pauschale Ertrags- und Kostenmechanismen mit kurzen Vertragslaufzeiten kennt und zeitgleich gegen sinkende Margen und eine sinkende Zahlungsbereitschaft kämpft, ist der Spielraum für Ineffizienz klein. Denn ineffiziente Prozesse kosten Geld – und davon hat man im FM eigentlich immer zu wenig. 

OHNE FINANZIELLE MITTEL LASSEN SICH ABER KEINE PROZESSE AUTOMATISIEREN ODER DIGITALE KOMPETENZEN AUFBAUEN…
Da gibt es durchaus Möglichkeiten und Lösungen, die nicht gleich einen Umbau der IT-Architektur oder die Ablösung von bestehenden Systemen erfordern. Digitale Prozesse entwickeln sich zunehmend in Richtung Low Code. Bei diesem Konzept können digitale Lösungen von den Fachabteilungen stärker geprägt und mitentwickelt werden, während knappe Ressourcen auf Seiten Softwareentwickler gleichzeitig entlastet werden. Dank so genannter Low-Code-Apps und den zugrundeliegenden Entwicklungsplattformen können in kurzer Zeit und mit wenig Aufwand Prozesse digital abgebildet und schrittweise automatisiert werden. Ich empfehle dabei, klein und einfach zu starten. Zum Beispiel, indem gezielt Anwendungsfälle mit manuellen Schritten, Medienbrüchen oder Excel-Schnittstellen digitalisiert werden. Damit lässt sich häufig schon eine grosse Wirkung erzielen. 

WAS MACHT SOLCHE LOW-CODE-LÖSUNGEN AUS, ABGESEHEN VON DER VEREINFACHTEN ENTWICKLUNG?
Low-Code-Apps sind in der Regel prozessorientiert. Die Mitarbeitenden werden mittels spezifischen, auf den jeweiligen Arbeitsschritt zugeschnittenen Bildschirmmasken vom System geführt. Es werden nur Informationen und Eingabefelder angezeigt, die im jeweiligen Schritt benötigt werden. Durch Automatismen im Hintergrund können manuelle Tätigkeiten übersprungen werden. Damit werden Dateneingaben, Informationsweiterleitungen und Genehmigungen sehr viel einfacher und effizienter. Solche Low-Code-Apps werden auch mit Kernsystemen, zum Beispiel CAFM-, ERP- oder auch Dokumentenmanagement-Systemen verknüpft. Damit wird das Zusammenspiel zwischen Mensch und Maschine vereinfacht und die Datenqualität in den Systemen erhöht. Um die Dynamik aus den Geschäftsprozessen aufzufangen und in Software einzubetten, müssen solche Lösungen rasch und einfach entwickelt und insbesondere auch angepasst werden können. Hier spielt Low Code eine zentrale Rolle. Da es wie ein Baukasten auf vorgefertigten Elementen aufbaut, einfach visualisiert wird und im Hintergrund vieles automatisiert ist, können Apps stärker durch die Fachbereiche getrieben werden.

SIND LOW-CODE-ANWENDUNGEN ALSO DIE NEUE WUNDERPILLE GEGEN SÄMTLICHE WIDRIGKEITEN IM BETRIEB?
Nein, das nicht. Die digitale Transformation erfordert eine Anpassung der bestehenden Infrastruktur und Prozesse. Das geht über einzelne Anwendungsfälle hinaus. Aber Low-Code-Lösungen sind ein wichtiger Schritt zur raschen Effizienzsteigerung. Sie erleichtern und beschleunigen den Austausch von Informationen und Dokumenten zwischen verschiedenen Teams und erhöhen die Transparenz, zum Beispiel über den Status von Wartungsarbeiten oder die Auslastung der Mitarbeitenden. Letztendlich unterstützen sie dabei, Ressourcen richtig einzusetzen und damit Zeit und Kosten dort zu allozieren, wo ein direkter Kundennutzen erzielt wird – in der Immobilie. Und das in der Regel einfacher und flexibler, als wenn Prozesslösungen in grossen, komplexen Kernsystemen abgebildet werden.

DANN EIGNEN SIE SICH VOR ALLEM FÜR KLEINE ODER MITTELSTÄNDISCHE UNTERNEHMEN?
Nicht ausschliesslich. Viele unserer Kundinnen und Kunden sind renommierte Grossunternehmen, die Low-Code-Apps sehr gezielt einsetzen, um bestimmte Prozesse im Betrieb effizienter zu gestalten. Gerade für grosse FM-Provider sind solche Lösungen interessant, wenn bei wechselnden Kundenbedürfnissen oder Mandatsverhältnissen die Flexibilität im Vordergrund steht und grössere Investments sich nicht über eine längere Zeit amortisieren lassen. Darüber hinaus ist zu bedenken, dass sich die Erwartungshaltung von Mitarbeitenden wandeln. Eine moderne Arbeitsumgebung wird immer wichtiger, um Talente halten zu können. Da gehört die digitale Infrastruktur dazu. Plug & Play ist gerade für jüngere Generationen heute eine Selbstverständlichkeit. Durchschlagpapier und Klemmbrett haben ausgedient. 

UND DER NÄCHSTE LOGISCHE SCHRITT IST DANN DIE KÜNSTLICHE INTELLIGENZ (KI). AUCH DIE KANN PROZESSE AUTOMATISIEREN UND EFFIZIENTER GESTALTEN. SIND LOW-
CODE-LÖSUNGEN DIE KOSTENGÜNSTIGERE ALTERNATIVE?

KI ist mehr eine Ergänzung als eine Alternative. Gerade bei Geschäftsregeln, die bei digitalen Prozessen eine grosse Rolle spielen, braucht es heute oft die Interaktion mit dem Menschen, damit der Prozess weiss, welches die nächsten Schritte sind. KI kann hier der Schlüssel zur Automatisierung sein. Auch gibt es bereits heute viele Lösungen, die diese beiden Aspekte intelligent miteinander verbinden. Beispielsweise werden bei der Dokumentenerkennung KI-Modelle eingesetzt. Die daraus generierten Daten können verwendet werden, um das Dokument oder eine damit verbundene Aufgabe dem richtigen Sachbearbeiter zuzuweisen. Unter dem Begriff Hyperautomation wird die umfassende Automatisierung solcher Prozesse verstanden, wenn beispielsweise ohne menschliches Zutun Aktionen wie eine Verrechnung, eine Bestellung oder eine Antragsgenehmigung automatisch bearbeitet und dokumentiert werden. Mittels Low Code erstellte, digitale Prozesslösungen sind in Kombination mit KI eine ideale Kombination hierzu.


Über den Experten 

Simon Caspar ist dipl. Betriebsökonom FH in Facility Management und hat einen Executive MBA von der Universität St. Gallen (HSG). Vor 10 Jahren hat er als Partner bei der pom+Consulting AG die Business Unit Digital Solutions aufgebaut. Heute verantwortet er drei Service Units mit insgesamt 28 IT-Spezialistinnen, Business Analysten, Datenarchitektinnen und Requirement Engineers. Er unterstützt Unternehmen dabei, ihre Organisation, Prozesse, Daten und Immobilien als Einheit zu denken und betrachtet digitale Systeme dabei als Verkehrsachsen für den nahtlosen Informationsaustausch. 

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Dieser Artikel ist zum ersten mal in der Ausgabe vom 21. Juni 2023 der fmpro Swiss erschienen. Das Interview wurde von Stefan Kühnis durchgeführt.