Nachhaltigkeit soll in der Immobilienwirtschaft zum «courant normal» werden. Von Bauvorschriften bis hin zu Offenlegungspflichten, die Branche navigiert durch ein komplexes Netzwerk von Anforderungen. Im Dialog mit Rebekka Ruppel und Johannes Gantner beleuchten wir, welche Rolle Nachhaltigkeitslabels und Reporting Standards dabei spielen und inwiefern Deutschland und die Schweiz anders mit der Thematik umgehen.
Die nachhaltige Entwicklung der Immobilienwirtschaft gründet auf zahlreichen Bausteinen. Nebst Normen und Regulierungen sind auch Nachhaltigkeitszertifikate, Benchmarks und Berichte wichtige Parameter. Im Gespräch mit Rebekka Ruppel, CEO von pom+Deutschland, und Dr. Johannes Gantner, Partner und Head of Sustainability & Performance in der Schweiz, diskutieren wir unterschiedliche Ansätze für eine nachhaltige Immobilienwirtschaft.
Ihr beschäftigt euch eingehend mit Nachhaltigkeitszertifikaten und Reporting-Standards in der Immobilienwirtschaft. Für wen sind sie relevant und warum?
Johannes Gantner: Nachhaltigkeitslabels sind primär interessant für Immobilieneigentümerinnen, Bestandshalter und Portfolio bzw. Asset Manager. Sie helfen ihnen dabei, interne Nachhaltigkeitsbemühungen extern zu verifizieren und dienen der Qualitätssicherungen. Aber natürlich sind sie auch relevant für Mietparteien, indem sie die Grundlagen für Wellbeing, Komfort und Wohlbefinden bewerten oder aber im gewerblichen Rahmen deren eigenen Nachhaltigkeitsstrategien unterstützen.
Rebekka Ruppel: Sie sind ausserdem ein wichtiges Instrument zur Einhaltung der geltende Regulatorik (v.a. für Finanzmarktteilnehmer:innen) sowie für die Finanzierung von Neubau- und Sanierungsvorhaben. Zudem können Nachhaltigkeitslabels die Eingabe in den Global Real Estate Sustainability Benchmark (GRESB) vereinfachen und das Resultat erheblich verbessern.
Gibt es messbare ökologische oder ökonomische Vorteile durch den Einsatz solcher Labels?
Johannes: Nachhaltigkeitslabels machen die Erfolge sichtbar und schaffen eine Diskussionsgrundlage für Verbesserungen. Sie erhöhen ausserdem die Attraktivität von Liegenschaften und können die Produktivität der Nutzer:innen steigern. Viele Grosskonzerne wie Google zahlen daher Prämien für nachhaltige Gebäude. Studien aus der Schweiz zeigen, dass zertifizierte Gebäude eine Wertsteigerung von 3 bis 5,0 Prozent verzeichnen, was sie für Anlegerinnen und Investoren besonders attraktiv macht.
Rebekka: Labels bieten auch weitere Vorteile. Sie dienen z.B. als wichtige Orientierungshilfe. Wie aus aktuellen Berichten der Bundesregierung hervorgeht, hat die Bürokratielast 2024 ein neues Rekordniveau erreicht. Das führt zu vielen Unsicherheiten in der Branche. Zertifikate und Standards können dabei helfen, die relevanten Anforderungen herauszufiltern. Und natürlich lassen sich damit in vielen Fällen auch höhere Mietpreise realisieren.
Welche Rolle spielen internationale Standards und Zertifizierungen im Vergleich zu nationalen Labels?
Rebekka: Internationale Standards sind oft weicher formuliert und entsprechen nicht immer den hohen Anforderungen in der DACH-Region. Es gibt nur wenige Synergieeffekte zwischen nationalen und internationalen Labels, da letztere nicht standortspezifisch zugeschnitten sind. Nationale Labels sind besser auf die lokalen Bauprozesse abgestimmt und erkennen sich meistens gegenseitig an.
Wobei es auch in der DACH-Region Unterschiede gibt. Denken wir nur an die Corporate Sustainability Reporting Directive (CSRD) als neue Berichtspflicht in der EU. Für die Schweiz ist sie nicht obligatorisch.
Rebekka: Diese EU-Richtlinie betrifft alle Unternehmen, die eine Tochtergesellschaft in einem EU-Land haben. Insofern ist sie auch für viele Organisationen in der Schweiz relevant.
Johannes: Schweizer Unternehmen orientieren sich in der nachhaltigen Berichterstattung bislang oft an der Global Reporting Initiative (GRI). Dieser Standard bietet einen umfassenden Rahmen, um die ökologischen, sozialen und wirtschaftlichen Auswirkungen systematisch und transparent zu dokumentieren. Damit bildet GRI hierzulande ein wichtiges Pendant zur CSRD.
Wer ist strenger bei den Zertifizierungen: Deutschland oder die Schweiz?
Rebekka: Deutschland ist definitiv strenger! Das äussert sich unter anderem in der Anzahl Kriterien, die nachgewiesen werden müssen. Ein Zertifikat von DGNB fragt beispielsweise bis zu 80 Punkte ab, während das vergleichbare Label von SNBS in der Schweiz nur etwa 50 Kriterien umfasst.
Johannes: Die Gesetzgebung in Deutschland ist wegen dem Green Deal der europäischen Union viel strikter und der Druck auf Porfoliobesitzer:innen entsprechend höher. Die Schweiz begutachtet die Regularien jeweils erstmal aus der Ferne und passt sie dann für gewöhnlich mit einer der Eidgenossenschaft eigenen Pragmatik an.
Mit anderen Worten: Die Schweiz nimmt den Klimaschutz weniger ernst als Deutschland?
Johannes: Nein, das kann man so nicht sagen. Die Schweiz strebt Klimaneutralität bis 2050 an, verfolgt aber einen anderen Ansatz. Das politische System ermöglicht direkte Bürgerbeteiligung. Da hat sich in der Vergangenheit gezeigt, dass der Souverän empfindlich auf Eingriffe in die persönliche und wirtschaftliche Freiheit reagiert, was zu Ablehnungen wie beim CO2-Gesetz 2021 führt. Auf regionaler Ebene gibt es jedoch viele Fortschritte: Kantone wie Zürich, Waadt und Basel-Stadt haben alle individuelle Klimastrategien und CO2-Reduktionsmassnahmen beschlossen.
Deutschland macht derweilen Schlagzeilen mit Förderprogrammen. Welche sind besonders gefragt?
Rebekka: Als erstes fallen mir da die KfW-Programme ein von der Kreditanstalt für Wiederaufbau. Sie bieten zinsgünstige Darlehen und Zuschüsse für energieeffiziente Neubauten und Sanierungen und fördern Investitionen in erneuerbare Energien. Dann gibt es natürlich die BAFA-Förderprogramme des Bundesamts für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle. Da gibt es Zuschüsse für Einzelmassnahmen wie den Austausch von Heizungen oder die Verbesserung der Gebäudehülle. Nicht zu vergessen sind sicher auch die Energieeinsparverordnung (EnEV) und das Gebäudeenergiegesetz (GEG). Sie unterstützen die Bauherrschaft dabei, die gesetzlichen Anforderungen zu erfüllen oder zu übertreffen.
Klingt nach einem bunten Strauss an Optionen. Ähnlich wie bei der Vielzahl an Nachhaltigkeitslabels…
Rebekka: Ich begrüsse die Vielfalt. So haben auch kleinere Unternehmen die Chance, sich zertifizieren zu lassen, ohne sich finanziell zu ruinieren.
Welche Rolle spielen technologische Innovationen bei der Einhaltung von Nachhaltigkeitsstandards?
Johannes: In der Schweiz wird Nachhaltigkeit als integraler Bestandteil des Innovationsprozesses betrachtet, die technologische Entwicklung gehört zu einer guten Unternehmensführung. Digitale Technologien wie BIM-Modelle oder Smart Metering spielen eine grosse Rolle, um Daten sammeln und Veränderungen messen zu können. Zunehmend zeichnet sich aber auch ein Trend ab zu «Low Tech»-Ansätzen, um den Energieverbrauch zu reduzieren und den Fokus auf bauliche Nachhaltigkeit zu legen.
Rebekka: Das ist in Deutschland ähnlich, aber wir legen einen stärkeren Fokus auf die strategische Planung und Umsetzung von Forschungs- und Innovationspolitik zur Erreichung der Nachhaltigkeitsziele.
Im ersten Teil unserer Blog-Serie sprechen wir über die Qual der Wahl und die Frage, welches Nachhaltigkeitslabel zu welchen Immobilien passt.
Dr. Johannes Gantner ist Partner und Mitglied der Geschäftsleitung bei pom+. Er verantwortet den Leistungsbereich Sustainability & Performance in der Schweiz und ist spezialisiert auf die nachhaltige Zertifizierung von Immobilien.
Rebekka Ruppel ist CEO von pom+Deutschland und unterstützt Immobilieneigentümerinnen und Bestandshalter bei der Optimierung ihrer ESG-Performance. Als Vorsitzende des ZIA-Ausschuss «Transparenz & Benchmarking» setzt sie sich für eine wirtschaftlich sinnvolle Umsetzung von EU-Regularien ein und legt dabei besonderen Wert auf ausgewogene Verhältnismässigkeit.