Data & Digital Immobilien

«Smart Buildings sind kein ‹Raumschiff Enterprise›!»

28.03.2023
Isabel Gehrer

Mit Smart Buildings profitieren Immobilieneigentümer:innen, Nutzer:innen und der Betrieb endlich direkt von der digitalen Transformation, sagt Stefan Schneider, Partner und Head of Business Unit Future Lab bei pom+. Im Gespräch stellt er sich unseren kritischen Fragen zu den Mehrwerten von digitalen Gebäuden und den Herausforderungen, die deren Entwicklung mit sich bringen.

Der Verbau von intelligenten Technologien bietet eine Vielzahl von Vorteilen; von einer höheren Energieeffizienz bis hin zu einer verbesserten Nutzererfahrung. Allerdings sind es heute eher die Herausforderungen, die von sich reden machen: Dazu gehören unter anderem Datenschutzbedenken, mangelnde Standards und Interoperabilität zwischen verschiedenen IT-Komponenten und deren Integration in den Gebäudebetrieb. Stefan Schneider betreut derzeit mehrere Smart-Building-Projekte und ist überzeugt von den damit verbundenen Benefits.

Stefan, als Head of Business Unit Future Lab beschäftigst du dich aktuell mit relevanten Fragestellungen rund um die Digitalisierung von Gebäuden. Wo steht die Schweizer Bau- und Immobilienwirtschaft bei der Umsetzung von Smart Buildings?
2021 wurden Smart Buildings aus globaler Sicht auf dem Gartner Hype Cycle dem «Plateau der Produktivität» zugeordnet. Das bedeutet, dass die Experimentier- und Entwicklungsphase abgeschlossen ist und Smart Buildings nun in breiterem Massstab eingesetzt werden, um konkrete Geschäftsergebnisse zu erzielen. So weit sind wir in der Schweiz noch nicht, doch das Interesse nimmt an Fahrt auf. Es gibt bereits erste Leuchtturmprojekte, doch stehen wir insgesamt noch am Anfang der Entwicklung. Es ist zu erwarten, dass sich der Trend auch in der Schweiz fortsetzt.

Was sind die grössten Treiber dieser Entwicklung?
Nachhaltige Überlegungen sind heute der wichtigste Faktor, warum sich Investorinnen und Portfolioeigentümer mit Smart-Building-Lösungen beschäftigen. Einerseits geht es dabei um die Messbarkeit von Verbräuchen und andererseits um die Optimierung der Betriebseffizienz, zum Beispiel durch die online Überwachung von Anlagen oder der Gebäudetechnik. Und natürlich hat die digitale Transformation einen grossen Einfluss auf die Art und Weise wie Menschen zusammenarbeiten, etwas konzipieren und kreieren. Das mag heute erst unterschwellig spürbar sein in der Bau- und Immobilienwirtschaft, dürfte aber in Zukunft dafür sorgen, dass viele Prozesse neu gedacht werden.

Zum Beispiel?
Ich denke da beispielsweise an die Übergabe der Mietfläche an die Nutzerinnen und Nutzer. Bewirtschafter:innen dürften in Zukunft vermehrt mit Fragen konfrontiert werden, die ein Verständnis der digitalen Zusammenhänge im Gebäude erfordern. Also ganz konkret: Wie funktioniert die Rechnungsstellung, wenn ich mein Elektroauto an die Ladestation anschliesse – erhalte ich die Rechnung per E-Mail, per App oder via Nebenkostenabrechnung? In der vernetzten Welt von morgen ändert sich also die Customer Journey, die Kundenreise, im und rund um das Gebäude. Wir müssen uns in Zukunft darum schon bei der Entwicklung von Immobilien überlegen, welche digitalen Anforderungen die Bewohnerinnen und Mieter haben und welche Anknüpfungspunkte in der Bewirtschaftung und im FM dafür relevant sind.

Heute gelten Smart Buildings aber vor allem als teuer und komplex…
Diese Aussage mag auf Projekte zutreffen, die mit ungenügender Bestellerkompetenz und ohne Gesamtkoordination ein möglichst «fancy» Smart Building entwickeln wollen. Wir müssen uns aber bewusst sein, dass es sich bei Smart Buildings nicht um das «Raumschiff Entreprise» handelt, sondern um die Summe verschiedener digitaler Anwendungsfälle. Die Kosten hängen davon ab, wie viele davon kombiniert werden und wie die Interoperabilität sichergestellt wird. In unseren bisherigen Projekten haben wir die Erfahrung gemacht, dass die Kosten vor allem dann ansteigen, wenn keine saubere Anforderungsdefinition vorhanden ist und die technischen Komponenten nicht aufeinander abgestimmt sind.

Der Trend geht aber doch hin zur integralen Betrachtung von Immobilien. Wenn wir jetzt beginnen, in einzelnen Anwendungsfällen zu denken, widerspricht das nicht dieser Botschaft?
Im Gegenteil! In digitalen Anwendungsfällen zu denken heisst, sich schon bei der Projektierung und im Bauprojekt Gedanken über die Nutzung, den Betrieb und die Bewirtschaftung zu machen. Wir überlegen uns also zuerst, welche Massnahme wir umsetzen und was wir damit erreichen wollen. Damit wissen wir auch, welche Prozesse und Rollen in der Nutzungsphase betroffen sind und welche Informationen dafür benötigt werden. So lassen sich die Anforderungen an das Gebäude besser formulieren. Wir haben dafür einen Konfigurator entwickelt, der uns die relevanten Anwendungsfälle in verschiedenen Dimensionen aufzeigt und so hilft, klassische pbFM-Fragestellungen, um eine digitale Komponente zu erweitern. Das klingt einfach, ist in der Praxis aber sehr anspruchsvoll.

Was sind denn die grössten Herausforderungen?
Die grösste Herausforderung von Smart Buildings ist die integrale Planung der verschiedenen IT-Komponenten und Datenflüsse. Wenn zum Beispiel Störungen von Anlagen automatisch erkannt werden sollen, sodass nahtlos ein Spezialist aufgeboten werden kann, gibt es auf verschiedenen Ebenen Vorkehrungen zu treffen. Gebäudeseitig müssen Anlagen wie beispielsweise eine Wärmepumpe mit einem entsprechenden Sensor ausgestattet werden. Anschliessend müssen sämtliche Sensoren an das Gebäudenetzwerk angeschlossen, so-dass eine sichere Verbindung in die Cloud gewährleistet werden kann.

IT-seitig ist zu identifizieren welche Systeme betriebsseitig vorhanden sind und wohin sie führen, damit im Fall einer Abweichung des Stromverbrauchs der Wärmepumpe zum Beispiel ein Alarm ausgelöst werden kann. Dank einer Anbindung an das Ticketingsystem der Gebäudebewirtschaftung kann die Erledigung des Auftrages überwacht und abgerechnet werden. Werden solche Alarme zentral gesammelt, kann zeitgleich die Unterhaltsplanung durchgeführt werden. Anlagen mit häufigen Störungen und steigenden Energieverbräuchen können revidiert oder ersetzt werden. Solche Anwendungsfälle lassen sich nur umsetzen, wenn wir einerseits eine interdisziplinäre Sicht auf das Bauprojekt und den Gebäudebetrieb haben und andererseits eine übergeordnete Koordination der einzelnen IT-Teilprojekte sicherstellen. Auch nicht zu unterschätzen sind die Konsequenzen von Smart Buildings für den Rückbau. Elektronische Hardware hat einen viel kürzeren Lebenszyklus als Immobilien und muss regelmässig ersetzt werden. Um Elektroschrott möglichst zu vermeiden, müssen zirkuläre Anforderungen schon bei im Smart-Building-Konzept und bei der Auswahl der IT-Komponenten berücksichtigt werden. Es empfiehlt sich, hier auf Standards zu setzen und geschlossene Systeme möglichst zu vermeiden.

Das Bauprojekt wird also zum IT-Projekt. Das klingt in der Tat ziemlich komplex…
Die IT-Sicht ist heute eigentlich in allen grösseren Bauprojekten relevant, unabhängig davon, ob es sich um ein Smart Building handelt oder nicht. Diese Perspektive ist notwendig, damit unsere Immobilien gerüstet sind für die vernetzte Welt von morgen. Bei Smart Buildings kommt hinzu, dass Fachplaner:innen technologische Guidelines und Antworten auf technische Fragen benötigen. Die meisten Investorinnen und Bauherren verfügen aktuell aber nicht über derartige Bestellkompetenzen. Darum sind sie angewiesen auf Unterstützung. Wir helfen ihnen, Immobilien entlang des digitalen Gebäudebetriebs zu planen und projektieren.

Wie geht ihr da vor?
Grundsätzlich blicken wir dabei aus der Portfoliosicht auf das einzelne Objekt. Die eigenen Unternehmensziele und das Nutzungskonzept, die Nachhaltigkeits- und IT-Strategie sind alles relevante Anknüpfpunkte und Einflussgrössen, welche die Anwendungsfälle im Smart Building bestimmen. Wenn es zum Beispiel Zielvorgaben zur Reduktion von CO2-Emissionen gibt, müssen die auf das Gebäude heruntergebrochen werden. Wir fragen uns dann, mit welchen digitalen Mitteln diese Ziele unterstützt und ergänzt werden können. Im CO2-Beispiel schauen wir uns also die Energieeffizienz an und überlegen uns smarte Lösungen für die Verbrauchserfassung über Nutzersensibilisierung bis zur Nebenkostenabrechnung per Knopfruck.

Mit welchen Grundsatzfragen muss sich die Bauherrschaft bei der Planung eines Smart Buildings auseinandersetzen?
Sehr wichtig ist die Klärung der Datenhoheit. Die meisten Investorinnen oder Bauherren wollen die von den Sensoren und Aktoren aggregierten Informationen bei sich behalten. Das hat einen grossen Einfluss darauf, welche technischen Komponenten bestellt werden müssen und mit welchen Herstellerunternehmen zusammengearbeitet wird. Auch die Sicherheitsrichtlinien haben umfassende Auswirkungen auf die Komplexität eines digitalen Gebäudes. Je höher die Ansprüche, desto mehr Anwendungsfälle müssen in den Betrieb und die Systemwelt eingegliedert werden. Das reicht dann von Videoüberwachung über Zutrittskontrollsysteme bis hin zur Türschliesssystemen. Und nicht zuletzt spielt die Gebäudezertifizierung eine grosse Rolle. Je nach angestrebtem Nachhaltigkeitslabel treten hier andere Anwendungsfälle in den Vordergrund.

Apropos Mehrwert: Der erschliesst sich mir noch nicht so ganz. Warum habe ich als Bauherrin ein Interesse daran, ein Smart Building zu entwickeln?
Da bist du nicht allein. Die Meinungen gehen derzeit noch auseinander. Wir müssen uns aber bewusst sein, dass die digitale Transformation und die damit verbundenen technologischen Entwicklungen voranschreiten. Bei jedem grösseren Bauprojekt werden heute digitale Komponenten verbaut. Teuer wird es, wenn dies unko-ordiniert und ohne Einbezug der Betriebsorganisation oder den Nutzerinnen und Nutzern passiert. Die Frage ist also nicht, ob ein Smart Building gebaut wird, sondern wie es gebaut wird. Ab einer bestimmten Anzahl Use Cases macht es schlicht und einfach Sinn, dafür ein übergeordnetes Konzept zu erarbeiten und die vorher erwähnten Grundsatzfragen zu klären.
Ausserdem bin ich überzeugt, dass wir mit Smart Buildings die Grundlage legen für den Ausbau der Service Economy. Wenn wir uns die Immobilie als Plattform vorstellen, ergeben sich auf einmal neue Geschäftsmodel-le und Einnahmequellen. Zum Beispiel lässt sich die Dachfläche gut für die Stromerzeugung mittels Solarpanels vermieten oder die Wärmepumpe im Contracting-Modell betreiben. Auch andere Leistungen und Komponenten – von Kühlschrank bis zur Waschmaschine – lassen sich in einem Smart Building als «Product as a Service» (PaaS) integrieren. 

Nüchtern betrachtet ergibt sich der Mehrwert eines Smart Buildings aus den Anwendungsfällen. Im Zentrum steht dabei eigentlich immer die Reduktion von Betriebskosten und die Automatisierung manueller Arbeit.


Haben Sie Fragen? Unsere Expertinnen und Spezialisten helfen gern.

Kontakt aufnehmen