Wo Nachhaltigkeit einst zur Pionierarbeit zählte, droht sie heute zur Randnotiz zu verkommen. Denn im Trubel rund um Zölle, Aktienkurse und bezahlbare Mietflächen richtet sich der unternehmerische Blick auf das Dringliche, nicht auf das Notwendige. Dabei wäre genau jetzt der richtige Moment, um Immobilienportfolios zukunftsfähig aufzustellen und im Risikomanagement zu verankern.
«Drill, baby, drill», liess US-Präsident Donald Trump in seiner Antrittsrede Anfang Jahr verlauten. Und rief an seinem ersten Tag im Weissen Haus den nationalen Energienotstand aus. Es folgte eine Richtlinie, die darauf abzielt, die Vorschriften für den Öl- und Gassektor zu lockern und die Entwicklung von Bohrungen und Pipelines zu beschleunigen.
Rund einen Monat später gab die Europäische Kommission bekannt, dass verschiedene EU-Vorschriften vereinfacht werden sollen zur Schaffung eines «günstigeren Unternehmensumfelds». Betroffen sind die Berichterstattung über nachhaltige Finanzen, die Sorgfaltspflicht im Bereich der Nachhaltigkeit, die EU-Taxonomie, der Mechanismus zur Anpassung der Kohlenstoffgrenzen und europäische Investitionsprogramme. Diese Omnibus-Pakete, so die Absicht, sollen die bürokratischen Hürden senken und den Zugang zur Finanzierung einer nachhaltigen Transformation ermöglichen.
Mit anderen Worten: Die grösste Volkswirtschaft der Welt setzt – bis auf Weiteres – auf fossile Brennstoffe, Erderwärmung und Klimakrise hin oder her. Zeitgleich macht Europa einen klimapolitischen Rückschritt, indem sie den Green Deal aufweicht.
Wo, fragen wir uns, hallt der erzürnte Ausruf von Greta Thunberg nach, der die Welt 2019 in Aufruf versetzte?
Was zur Norm wird, wird leise
Nicht nur um Greta ist es dieser Tage leise geworden. Auch Fragestellungen rund um die Nachhaltigkeit sind in den Hintergrund gerückt. Nachdem sie es erstmal aus der Birkenstock- und Baumwollecke herausgeholt wurde und sich als Differenzierungsmerkmal einen Namen macht, ist sie zwischenzeitlich zu einem strategischen Kernthema in Form von ESG-Kriterien (Environmental, Social, Governance) avanciert. Teams wurden aufgebaut, Messwerte rapportiert, Zertifikate beantragt, Investitionen getätigt. Heute gehört Nachhaltigkeit zum guten Ton. Auf dem Gartner Hype Cycle hätte sie zwischenzeitlich vermutlich das «Plateau der Produktivität» erreicht.
Doch Routine arbeitet leise, erregt wenig Aufsehen. Was zur Selbstverständlichkeit wird, verschwindet aus dem Rampenlicht. Im politischen Getöse rund um Zölle, Desinformation, Kriege und humanitäre Krisen spielt Klimaneutralität in der zweiten Liga. Das ist bedenklich. Denn gerade Katastrophen wie der Bergsturz in Blatten zeigen traurig und eindrücklich, dass die einstmalige Panik nicht unbegründet ist – und wir systematische Nachhaltigkeitsbemühungen als essenzielle Form von Risikomanagement begreifen sollten.
Irgendwann ist heute
Denn eines ist klar: Die Uhr tickt. 2050 soll Netto-Null erreicht sein – ein Ziel, das heute wie eine ferne Deadline wirkt, aber faktisch wenig Spielraum erlaubt für Immobilienorganisationen. Denn wenn wir in Immobilienzyklen denken, kann der Grossteil der heutigen Bestandsliegenschaften innert 25 Jahren nur noch einmal richtig instandgesetzt oder totalsaniert werden.
Doch die geopolitische Grosswetterlage, unklare Rahmenbedingungen und wirtschaftliche Unsicherheiten machen belastbare Klimaabsenkpfade schwer kalkulierbar. Wir erleben aktuell häufig, dass Eigentümerinnen und Portfoliohalter den Entscheid hinausschieben oder die kostengünstigste Variante wählen. Doch wer heute im linearen Denken verharrt und in der Kurzfristigkeit agiert, verbaut sich morgen strukturelle Optionen. Themen wie Klimaschutzfahrpläne, Graue Energie, Lebenszykluskosten oder Klimarisiken gehören zwingend in den Entscheidungsprozess, um eine klimaneutrale Zukunft wirtschaftlich effizient möglich zu machen. Und das besser früher als später.
Drei Zukunftsszenarien für 2050
Der erste Schritt ist, sich zu vergegenwärtigen, dass Zukunft kein Schicksal ist, sondern gestaltbar. Bevor wir die Massnahmenplanung angehen, müssen wir uns mit strategischer Vorausschau befassen. Wir sehen drei mögliche Zukunftsszenarien, welche das Klima-Narrativ der nächsten 25 Jahre prägen und auf Unternehmen einwirken könnten:
1. «Green by Consequence»
Der Klimawandel wird weitgehend ignoriert, das 1.5-Grad-Ziel als unrealistisch abgeschrieben. Politische Massnahmen bleiben zahnlos, der wirtschaftliche Druck für Wandel gering. Im Fokus steht die Symptombekämpfung, Nachhaltigkeit wird zur Frage der Schadensbegrenzung. Die Folgen sind drastisch, insbesondere für dicht besiedelte Räume. Wasserknappheit, Extremwetterereignisse und Hungersnöte nehmen zu. Das führt zu physischen Schäden an Immobilien und Infrastruktur – und hohen Folgekosten für Unternehmen und Gesellschaft.
Leitmotiv: Wer Risiken ignoriert, wird von ihnen überrollt.
2. «Green by Force»
Netto-Null wird zur Maxime – koste es, was es wolle. Regulierungen werden drastisch verschärft, Subventionen grosszügig verteilt, fossile Energieträger radikal verteuert, CO₂-Emissionen besteuert. Unternehmen und Gesellschaft stehen unter massivem Transformationsdruck. Wer sich nicht anpasst, verliert Marktzugang, Finanzierung oder gesellschaftliche Akzeptanz. Der Weg ist schmerzhaft, aber klar.
Leitmotiv: Wer keinen Plan hat, bekommt einen verordnet.
3. «Green by Design»
Das Netto-Null-Ziel bleibt bestehen, wird aber flexibler und ohne ideologischen Überbau interpretiert. Nachhaltigkeit wird angestrebt, aber Investoren vermeiden Überinvestitionen, solange sich Nutzen und Risiko nicht klar kalkulieren lassen. Marktbasierte Anreize, technologische Innovationen und datenbasierte Steuerung rücken in den Vordergrund. Regulierungen werden gezielt ausgebaut und den europäischen Standards angedockt. ESG etabliert sich als Teilaspekt von belastbaren Unternehmens-, Immobilien- und Portfoliostrategien.
Leitmotiv: Wer Haltung in Strukturen übersetzt, verschafft sich Spielraum.
Alle drei Szenarien erfordern massgeschneiderte Massnahmen – abgestimmt auf Portfolio, Standort und Nutzung. Und sie verlangen ein Denken in Lebenszyklen statt in Quartalszahlen.
Gefragt ist also kein Aktivismus, sondern vorausschauendes Risikomanagement: mit belastbaren Szenarien, der Berücksichtigung unerwarteter Ereignisse («Wild Cards») und klaren Handlungsoptionen. Wer so plant, gewinnt nicht nur Zeit im Ernstfall – sondern auch die Sicherheit, vorbereitet zu sein. Denn ob man dem Sturm standhält, entscheidet sich nicht, wenn er tobt – sondern in der Stille davor.
Risikodenken statt Pflichtenerfüllung
In der Praxis ist zu beobachten, dass Bestandshalter Nachhaltigkeit zunehmend differenzierter betrachten und entsprechend organisieren. Während CSR-Initiativen das unternehmerische Verantwortungsbewusstsein gegenüber Gesellschaft und Umwelt betonen, etabliert sich parallel ein risikoorientierter Zugang. Im Zentrum stehen hier die systematische Erhebung von Zuständen, Verbrauchsdaten und Emissionen sowie die Entwicklung belastbarer Risikoprofile pro Gebäude. Ziel ist es, ESG-Risiken frühzeitig zu identifizieren und als Steuerungsgrössen in die Portfoliostrategie zu integrieren.
Damit wird Nachhaltigkeit zum strategischen Entscheidungsfaktor jenseits von Reportingpflichten und Zertifikaten. Besonders der Standort gewinnt an Bedeutung: Im Zuge des Klimawandels rücken Fragen zur Resilienz von Immobilien in den Vordergrund. Gebäude müssen nicht nur effizient, sondern auch widerstandsfähig gegenüber Hitze, Starkwind, Überflutung oder sozialen Spannungen sein.
Um diese Risiken zu quantifizieren, braucht es eine systematische Bewertung der Immobilien hinsichtlich Energieverbrauch, CO₂-Emissionen, physischer Klimarisiken und sozialer Resilienz. Auf dieser Basis lassen sich für jedes der genannten Zukunftsszenarien Massnahmenprofile ableiten, differenziert nach Nutzung, Standort und der unternehmensspezifischen Immobilienstrategie.
Wir haben die Wahl: Entweder beginnen wir, Nachhaltigkeit als Risiko zu begreifen und aktiv zu managen – oder kämpfen später mit den Konsequenzen. Wie Greta am WEF in Davos vor sechs Jahren so schön sagte: «I want you to act as if our house is on fire. Because it is.»
Über die Autoren
Dr. Johannes Gantner ist Partner bei pom+Consulting und Leiter der Business Unit Sustainability. Mit seinem Team befähigt er Unternehmen, Risiken im Kontext des Klimawandels frühzeitig zu erkennen und ihre Resilienz durch nachhaltige Strategien gezielt zu stärken.
Isabel Gehrer leitet das Future Lab bei pom+Consulting. Mit ihrem Team hilft sie Organisationen, Orientierung in einer komplexen Zukunft zu gewinnen – durch wirksame Zukunftsbilder, strategisches Foresight und fundiertem Trend- und Technologiemonitoring.